
Hingabe bis in die Fingerspitzen (Bernd Schekauski)
Ich habe mit Helmut Brade, Renate Blütchen zum dritten Mal über die Handschrift gesprochen: Die Hingabe und Leistung die für das Handschreiben erbracht wird führt, zu Erinnerungen und einer Verdichtung, das wiederum erschafft den psychischen Raum im Gehirn aus dem Ideen einer Person entstehen können, die dann auf dem Weg des Stiftes der Feder dem Schreibwerkzeug den Körper wieder verlassen.
🙏 lieber Alexander Suckel, Literaturhaus Halle
Renate sprach zur Schulausgangsschrift, die von Renate Tost (s. Abb) gezeichnet wurde, die als junge Studentin von Albert Kapr an der HGB Leipzig studierte. (Frank Ortmann, Renate Tost: Schreibenlernen mit der Hand bildet Formsinn und Verstand. Gestalterische Grundlagen der Schulausgangsschrift, Verlag Dr. Dieter Winkler, Bochum 2021)
Die Ausformung der An- und Abstriche ist wesentlich, da die Handschrift dazu dienen soll, flüssig, schnell und lesbar zu schreiben. Diese Basis braucht Struktur, Anleitung und Stunden Übung: Hingabe. Außerdem der Umgang mit dem Schreibwerkzeug, basteln mit der Schere, haptische Feinmotorik, der Pinzettengriff, werden mit digitalen Geräten in der frühen Entwicklung ersetzt. Durch die schnelle Dopamin-Belohnung lernt das Hirn, neurologische Trampelpfade werden mit einer Myelinschicht zu Autobahnen erweitert. Klar, das man dann in der Schule nicht wieder „Über-Land“ fahren möchte, oder sich stark auf die Orientierung/Technik konzentrieren muss, wenn man noch mal mit der Handschreibenb will, zu anstrengend.
Für das Schönschreiben braucht es jedoch: „Wäschekörbe von Schriftblättern“ (Helmut Brade)
Seine Briefumschläge sind Kunstwerke. Im Moment übe ich meine Handschrift wieder neu ein, „Wäschekörbe“ voll müssen sein, um überhaupt wieder in die Lesbarkeit zu kommen. Schreibe ich 10 Minuten, beginnt mein Körper sich zu erinnern, unterbreche ich, um beispielsweise eine Nachricht auf dem Smartphone zu lesen, und setze ich danach wieder an, ist der Fluss unterbrochen, es ist wieder „geschmiert“. Im nächste Jahr hoffe ich, das wieder ab dem ersten Kontakt der Feder auf dem Papier zu etablieren.
Martin Grunwald, Haptikforscher im Haptiklabor an der medizinischen Fakultät der Uni Leipzig (Martin Grunwald: Homo hapticus Warum wir ohne Tastsinn nicht leben können, Droemer Knaur Verlag, München 2018), schreibt von dem optimalen Mikrovibrationen die durch Sinnenszellen in den Fingern, Händen, dem Körper, den idealen Widerstand von Papieroberfläche und Federspitze (oder einem anderen Schreibwerkzeug) registriert werden und wichtig sind, um einen guten angenehmen „Flow“ des Schreibflusses zu erreichen, das Gefühl, dass das Schreibgerät gut über die Overfläche gleitet. Das Schreiben auf Glasoberflächen erzeugt keine Mikrovibration und damit auch keine ausreichende nervliche Empfindung im Körper um etwas zu „be-greifen“, einen bleibende Eindruck im Körper zu hinterlassen, ausreichend Nervenbahnen zu stimulieren. Schreibt man mit der Hand ist fast das gesamte Gehirn daran beteiligt (lesend schreiben / Auge-Hand-Koordination), „denkt“ man eine Gedanken nur, ohne haptische Stimulation, so sind es magere 10%. Im Film „Lucy“ verkörpert die wunderbar leuchtende Scarlett Johansson wie ihre Gehirnkapazitäten nach versehntlichem Konsum exponentiell erweitert werden. Und ich sage jetzt mal: das kann die Handschrift auch, jeder Mensch kann das haben, es ist in uns angelegt, der Körper stellt die Hardware zur Verfügung, nur MACHEN muss es selbst. Der Beruf der „Umarmerin / ProfikuschlerIn“ hat sich in fast allen Städten etabliert, Berührung ist lebenswichtigt für den Menschen, sie nimmt mehr und mehr ab. Der Stift in der Hand und auf dem Papier ist eine eigene Berührung im Gehirn, auf den gleichen Nervenbahnen, die für Intimität und Wohlgefühl im zwischenmenschlichen Kontakt verantwortlich sind. Meine Erfahrung: schaffe ich es den Tag mit einigen Minuten Handschrift zu starten, sind alle Abläufe fokussierter als ohne, es ist eine Art Körpermeditation. Die digitale Rastlosigkeit und nimmermüde Vergleichbarkeit, die 24/7 im Netz und auf dem Smartphone zu uns spricht nennt man „ambient initmacy“, ein Eindruck der Nähe zu jemanden oder Inhalten über Zeit und Raum hinweg, ohne Grenze, ohne Körper. Hier möchte Thomas Fuchs zitieren: „Was als Widerstand erscheint ist die Voraussetzung des Gelingens.“ Schreibt – bleibt. Das Smartphone kommuiziert mit uns, in dem es Inhalte einspeist, für die nichts aktiv getan werden muss, anders herum muss der Körper beim Schreiben mit der Hand zwischen Eingabe und Ausgabe permanent differenzieren, eine höhere Flexibiliät der Nervenbahnen ist folgerichtig.
Mit Mandy Kunze habe ich über den Flowzustand des Handschreibens gesprochen, die Technik der „morning pages„, bei der das Schreiben eine Art Körpermeditation ist. (Aufnahme des Gesprächs). Das Schreiben von langen Texten im Fluss ist leider auch etwas, was permanent geübt werden muss, da es sonst einfach nicht die Hand halten kann.
Mich interessiert die physiologische Seite, zB der #flow Zustand, der bei intensivem Fokus einsetzt, ein Rausch von Neurotransmittern, die blaue Perle ist entscheidend dafür. Ist die neurologische Autobahn im Gehirn fest, entsteht das Gefühl der Körper schreibt mit.
@lou_hoyer sprach über den Impuls, der motiviert und wie der Atem fließt, Inhalte erschaffen aus dem Körper, ein perfomativer Aspekt. (Aufnahme des Gesprächs)
Enne Haehnle, eine Künstlerin der Gruppe der Materialistinen, ist Bildhauerin, und lässt Worte im Raum Fließen fließen.






23.1.25 Tag der Handschrift
19 Uhr
Literaturhaus Halle, Bernburger Straße 8, 06108 Halle an der Saale
Tag der Handschrift 2025
Aus der Hand –
Handschrift und Hingabe
Helmut Brade, Roman Wilhelm, Maria Magdalena Koehn (MMKoehn) und Gäste: Beim dritten Gespräch über die Handschrift geht es dieses Jahr um um die Hingabe,„bis in die Fingerspitzen“, die Zeit, die sich der Körper nehmen darf, um die Handschrift im Schreiben zu entwickeln: ein Fokus auf den Schriftfluss, den Flow, von innen nach außen.
Ging es beim ersten Gespräch 2023 „Von der Hand ins Hirn“ um das „Einschreiben“, die Eingabe von Informationen in das Gehirn über den Körper, Handschrift als Mnemotechnik: über die Hand, das Auge, die Netzhaut in das Gehirn, soll diesmal die andere Richtung in den Fokus des Themas rücken, wie Hildegard von Bingen, die mit der „Lingua ignota“ einen weiblichen Impuls der Schriftkultur gesetzt hat, der heute als marginales Phänomen, wahrgenommen wird.
Ein Flow-Zustand oder, eine „Funktionslust“, ist ein mentaler Zustand völliger Hingabe oder Konzentration, bei der die Dinge wie von Selbst gelingen, die Absorption einer
Tätigkeit: Beim Schrift schreiben, bei dem sich die Gedanken äußern, von innen aufs Papier oder sich im Raum realisieren: Handschrift und Hingabe.
Maria Magdalena Koehn MMKoehn
ist Grafik-Designerin, Typografin, Buchgestalterin, Illustratorin, Verlegerin im eigenen Verlag.
www.mmkoehnverlag.de, www.grafikfm.de
Helmut Brade ist Bühnenbildner, Plakatgestalter und Grafik-Designer, er lebt in Halle/Saale. Er ist Mitglied in der AGI (Alliance Graphique Internationale).
Roman Wilhelm ist Grafik-und Type-Designer, und lehrt Typografie an der UdK Berlin.
Er lebt und arbeitet in Berlin.
www.roman946.de







https://calculatingempires.net/ über die Zusammenhänge der Erfindungen der Werkzeuge in allen Zusammenhängen chronologisch verzahnt, ganz im Sinne Günther Anders: Die Antiqiuiertheit des Menschen





