2026 Tag-der-Handschrift – Den Verstand in der Hand – Warum wir ohne Handschrift nicht mehr denken können?

Hand habe – Warum wir ohne Handschrift nicht mehr denken können?

22.1. 2026 um 19 Uhr im Literaturhaus Halle
Bernburger Straße 8, 06108 Halle (Saale)

Am Vorabend des „Tags der Handschrift“, um 19 Uhr sprechen Helmut Brade, Maria Magdalena Koehn (MMKoehn) Dr. Elisa Meyer, Kuscheltherapheutin und Dr. Christoph Mackert, Leiter des Handschriftenzentrums der Universitätsbibliothek Leipzig „Albertina“, miteinander: Beim vierten Gespräch über die Handschrift geht es um die Neuroplastizität des Gehirns, wie durch das Etablieren von „Aufstrich (Fortbewegung) und Abstrich (Grundstrich)“ (Renate Tost, Frank Ortmann: „Schreibenlernen mit der Hand bildet Formsinn und Verstand. Gestalterische Grundlagen der Schulausgangsschrift“) durch die Handschrift, die essenziell feinmotorisch wichtigen Grundlagen unseres autonomen Denkens gebildet werden, um in einen Schreib- und Denkflow zu kommen, was zur Formung der Persönlichkeit, des Denkens, der freien Meinungsäußerung, der Bildung wichtig ist, und damit dem Erhalt der Demokratie dient. Die Gedanken sind frei. Ich denke also bin ich.

Das führt mich immer wieder zur fantastischen Kate Crawford, die mit Vladan Jolers zusammen die beeindruckende Übersicht über technischen intellektuellen Fortschritt geliefert hat: https://calculatingempires.net. „Calculating Empires. A Genealogy of Technology and Power Since 1500″ ich verstehe die Arbeit philosophisch im Sinne Günther Anders: gibt es die Atombombe, wird sie angewendet.

Hand habe – Warum wir ohne Handschrift nicht mehr denken können!

Den Verstand in der Hand
Ob wir Knoten knüpfen
– Quipu – Gesundheit!
Oder mit der Hand rein schlüpfen,
Das zuhause des Vor-stands
Ist die Hand.
Schreibend lesen.
Auge-Hand in den Verstand!

Ein Kind wird unreif und hilflos geboren, Gehirn riesig, Becken der Mutter zu klein, deswegen. Nach neun Monaten am Mutterbusen: die Neun-Monats-Revolution: der Pinzettengriff wird möglich, damit dann im Vollgas Richtung Verstand (Wortherkunft „davor stehen“, Logos), es bildet sich eine Myelinschicht um die Nervenbahnen im Körper zum Gehirn, Daten-Autobahn, schnelles Denken, durch jede Übung, z.B. durch „Bogen und Schlaufen“ (Renate Tost) beim Schreiben mit der Hand dicker und dicker werdend, wir lernen, Erfolg, Dopamin als Belohung, ein gutes Gefühl durch Verstand: ich denke also bin ich. Logos VOR Sinnlichkeit, wäre doch gelacht :-). Dann lesen, dabei schreiben(d) lesen: lesend denken, erinnern, verdichten, merken.
In der Hand haben: einen Füller: die Mikrovibrationen von Schreibgerät und Papieroberfläche sind wichtig und angenehm für den Körper, Vater-Pacini-Körperchen, die Schwingungen übertragen, sind an Gelenken im Körper, z.B. in den Handgelenken zu finden, um den Reiz zu transportieren.
Der Mensch besteht zu mindestens 70% aus Wasser: Schwungmasse, alles was schwingt ist angenehm, und was angenehm ist, ist motivierend und wird mit Wiederholung belohnt: wir lernen! Körperliche Resonanz führt zu soziologischer Relevanz. (Hartmut Rosa: Resonanz, Suhrkam Verlag)

Über die Hand, das Auge, die Netzhaut ins Gehirn hinein – und dann wieder schreibend lesend auf einen Punkt fokussiert hinausgeflossen, permanente Auge-Hand-Koordination, ein psychischer Raum für die Persönlichkeit entsteht. Je mehr Gehirnareale dabei beteiligt sind, desto länger und stärker bleibt der EinDRUCK, die Erinnerung: Magie!
Nein, es ist: BILDUNG: Handschrift ist ein demokratisches Werkzeug um autonomes Denken zu ermöglichen: Ich denke also bin ich, die Spaltung von Körper und Geist – die Geburt der Moderne – damit wäre ich wieder beim hilflosen Neugeboren, es stirbt, wenn es nicht berührt wird.
Essenzielle Berührung, geistig UND körperlich sind die elementare Antwort auf den Strukturwandel unserer Zeit.

Helmut Brade sagte in unserem ersten Gespräch am 23.1.22 zusammen mit Christoph Türcke und Roman Wilhelm: „Ich bin richtiggehend schreibsüchtig.“ Weil es satt macht, weil es Aneignung ermöglicht, weil stetes Schreiben mit der Hand den Geist ernährt – verkümmert diese Berührung wird das Denken verschwinden, wozu das bewahren, was überflüssig wird? Unnötige, ungenutzte Ressourcen, Deep-Thinking-Gehirnstrukturen, baut der Körper ab. Nichts neues, dieser Diskurs begleitet uns seit Jahren und ist überall angekommen.

„Trotz Routine bleibt Handschrift Ausdruck der Persönlichkeit.“ Eine nichtroutinierte Handschrift hat keinen individuellen Ausdruck, weil sie mehr oder weniger bewusst gesteuert ist.

„Das Wesen des routinierten Schreibens mit der Hand besteht in der Automatisierung einer komplexen geistig-motorischen Tätigkeit, bei der Denken, Sprache, Bewegung und Wahrnehmung zu einem fließenden Ganzen verschmelzen.“ (Renate Tost)

Wir verlieren immer mehr taktile Reize, durch Touchoberflächen und Sprachnachrichten, der Umgang mit der Umwelt wird zwar permanent reizvoller aber wir dabei „spürärmer“. Das berühmte Experiment der „Drahtmutter vs. Stoffmutter“, von Harry Harlow, zeigt eindrucksvoll, wie essenziell Berührung für den Organismus ist. Um zu überleben: bekommst du deine Nahrung von einer Drahtmutter verkümmerst du und stirbst; ein Bedarf nach Kuschelrobotern und pychoaktive Smartegeräten, die diesen Mangel füllen sollen, entsteht: „Haut-Hunger“ / „Skin Hunger“ (Martin Grunwald), Mangelernährung . Die Handschrift ist bereits Geschichte, damit verschwindet das schreibende Denken, das lesende Schreiben. Die Möglichkeit auf eine Messengernachricht zu warten, ersetzt das Gespräch, wird uns das Sprechen abhanden kommen?

Kann Kuscheln das Verschwinden der Handschrift ausgleichen? Sollte es als Unterrichtsfach wie die Handschrift auf den Stundenplan gesetzt werden?

Ich möchte dazu mit Gästen sprechen: Elisa Meyer, Gründerin Die Kuschel Kiste in Leipzig, Sie ist Kuscheltherapeutin, wurde 1986 in Luxemburg geboren. Sie studierte Germanistik und Philosophie in Freiburg, anschließend promovierte sie in Wien zum Werk von Robert Musil und dem Thema „Leibliche Identität.“
Und mit Christoph Mackert, dem Leiter des Handschriftenzentrums der Universitätsbibliothek Leipzig „Albertina“. Die Führungen von ihm eröffnen eine anderen Zugang zu der Wahrnehmung von Zeit. Zeit ist immer Qualität, ich muss da an eine Körpermeditation denken, die man mit dem Flow-Zustand beim Schreiben auch erreichen kann: „Flow“ bezeichnet einen mentalen Zustand völliger Vertiefung, in dem eine Person hoch fokussiert, intrinsisch motiviert und gleichzeitig entspannt ist. Typisch dafür ist das : Gefühl von Zeitlosigkeit, geringe Selbstreflexion: Ruhe im Kopf, dabei: hohe Leistungsfähigkeit und Kreativität (das würde ich als „deep thinking“ bezeichnen): eine optimale Balance zwischen Herausforderung und Können. Handschrift etabliert sich durch Übung, Virtuosität durch tägliche Nutzung dieser Fähigkeit.

Hände aus meinem Gehirn; touch4you, Tusche Zeichnung 2025
Renate Tost, Handschriften-Koriphäe aus Dresden, Besuch September 2025
LAMY, der Füller meiner Wahl
Renate Tost, hier fotografiert von meinem Freund Amac Garbe, der mir den Kontakt zu ihr herstellte
Schreibübungen
Erika Pluhar: „Ich probiere einige Federn aus – …“
Mit Tusche und Feder
Handschrift, die unter die Haut geht: Köper und Geist, Verbindung hergestellt, diesen Spruch habe ich mir nach dem Trennungsjahr stechen lassen, er stammt von einer guten Freundin, die ihn sagte, bevor wir in die eiskalte Ostsee zum Baden im Februar gerannt sind
Aus dem Handlesbuch meiner Mutter, ich bin die Besitzerin einer gesperrten Hand
Händeringend, Zeichnung von mir 2024
Zeichnung der Hände von Oskar Schmidt im Eros Seminar bei Prof. Christoph Türcke, 2004
Helmut Brade: Ich schreibe noch Buchstaben, bei uns erschienen
Original: Helmut Brade, 2014, Kopie: Maria Magdalena Koehn, 2024
Band: Quipu und Poesie-Eintrag meines Vaters in meinen Poesiealbum

– Quipu – die Knotenschrift der Inkas sowie der Füllfederhalter in der Arbeit von Kate Crawford: Werkzeuge.

1850 gab es noch reichlich analoge, haptische, taktile Reize, der Logos konnte sich mit dem Körper immer wieder verbinden und sich so in Resonanz aufschwingen. Jetzt sind die Menschen in einer Sackgasse aus elementaren körperlichen Impulsen und Bedürfnissen, bei immer weniger Möglichkeiten sie zu nutzen, gleichzeitige Überstimulierung durch Dopaminausschüttung, die keine psychischen Raum mehr ermöglicht, wie z.B. wenn wir ein Buch lesen und unser Verstand etwas aufbauen kann. Muss absichtsfreies Kuscheln zusätzlich zur Handschrift in der Grundschule als Pflichtfach eingeführt werden?

Aus Kate Crawford https://calculatingempires.net/, Quipu – in der Kategorie Hardware
Füllfederhalter und Tinte
Ich mit meinen Werkzeugen, Bleistift und LAMY Füllfederhalter

Dr. Elisa Meyer
ist Kuscheltherapeutin in Leipzig: Die Kuschel Kiste, https://cuddlers.net/de/blog/tagebuch/

Dr. Christoph Mackert
Leiter des Handschriftenzentrums der Universitätsbibliothek Leipzig. Das Handschriftenzentrum der UBL betreut die Bundesländer Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Zusätzliche Schwer­punkte sind Projekte zu deutschsprachigen Handschriften und die Aufarbeitung der vielfach kaum bekannten Klein- und Kleinstsammlungen mittelalterlicher Handschriften. Seit 2019 ist das Leipziger Handschriftenzentrum am Aufbau des deutschen Handschriftenportals beteiligt.
https://www.ub.uni-leipzig.de/forschungsbibliothek/handschriftenzentrum

Maria Magdalena Koehn MMKoehn
ist Grafik-Designerin, Typo­grafin, Buchgestalterin, Illustratorin, Verlegerin, Kuratorin im eigenen Verlag.
www.mmkoehnverlag.de

Prof. Helmut Brade
ist Bühnenbildner, Plakatgestalter und Grafik-Designer, er lebt in Halle/Saale, er war Professor von MMKoehn an der Burg Giebichenstein, Halle/Saale und unterstützt den Verlag seit der Gründung 2013. Er ist Mitglied in der AGI